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Prämierte Texte

Marcus Jauer „Mitten in der Schlacht

Dieser Text gehörte zu den vornominierten Texten für den Henri-Nannen-Preis 2007, Kategorie "Beste Reportage"

Wenn der Schweine-Lehmann kommt: In vielen deutschen Dörfern geht der Fleischer noch zum Bauern, zum Beispiel in Brandenburg

Vor Morgengrauen holen sie das Schwein aus dem Stall. Lehmann bindet ihm einen Strick um das Hinterbein, Guido und Bubi schieben es auf den Hof hinaus. Es schreit und läuft ein paar Schritte, dann setzt es sich einfach hin, grunzt und will nicht mehr hoch. Komm, Dicker, komm, rufen Guido und Bubi und streichen ihm über die Flanken, bis es sich erhebt und mit ihnen zum Waschhaus hinübergeht, wo sie es neben der Tür festbinden. Ganz ruhig steht es da, während Lehmann den Schussapparat holt. Ein kurzes Rohr, das er ihm auf die Stirn aufsetzt, sanft aber schnell. Es gibt einen stumpfen Schlag, und dann fällt das Schwein um.

"Jetzt wird geschlachtet", sagt Lehmann, und auch damit hat er recht.

Er sticht dem Schwein in den Hals und durchtrennt die Schlagader, Blut schießt aus dem Stich, aber Guido ist da und hält einen Eimer drunter, Bubi packt die Beine des Schweins. So warten sie es ab.

An einem Samstagmorgen in Brandenburg. Das Land ist eben und mit Kiefern bewachsen, das Dorf ist klein, die Straße hält sich nicht lange darin auf. Drei Seiten hat der Hof, die vierte steht zum Garten hin offen. Es ist dunkel, nur aus dem Waschhaus dringt Licht, und zur Tür hinaus dampft es. Der Kessel ist geheizt, ein kalter Wind geht über den Hof, und hinter der Scheune bricht der neue Tag an.

Lehmann wuchtet das Schwein in einen hölzernen Trog, Guido und Bubi holen heißes Wasser und brühen es ab. Lehmann schrubbt ihm die Borsten von der Haut, er kann sie nicht gebrauchen in der Wurst. Er hat etwas in der Hand, das wie eine Glocke aussieht, was er damit nicht schafft, schafft er mit dem Bunsenbrenner. Dann rollt er das Schwein auf eine Leiter, schneidet ihm Augen und Ohrmuscheln heraus, und wenig später steht es aufgezogen neben dem Waschhaus. Kopf nach unten, Bauch nach vorn.

"Wenn die Sau am Haken hängt , dann wird einer eingeschenkt", sagt Lehmann.

(...)


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Marcus Jauer


Marcus Jauer, geboren 1974 in Borna, ging nach der Journalistenschule von München nach Berlin, schrieb dort sieben Jahre für die Süddeutsche Zeitung Porträts, Reportagen und Streiflichter. Arbeitet jetzt im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 1999 bekam er den Helmut-Stegmann-Preis, 2000 den Axel Springer Preis.
Dokumente
Mitten in der Schlacht (pdf)

erschienen in:
Süddeutsche Zeitung (SZ),
am 24.03.2007

 

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